Simon Fujiwara
Empathy I, 2018
5D-Simulator-Installation (mit Ton, Video,
Bewegung, Wasser und Wind, 3:49 Min.
Courtesy der Künstler und Esther Schipper Gallery, Berlin
*1982 in Harrow, Großbritannien
lebt in Berlin and London
Simon Fujiwara setzt sich mit den Bildern und Narrativen unserer Zeit auseinander. Das Phänomen, das er als ‘Hyper-Engagement’ beschreibt, basiert auf der Beobachtung kapitalisierter Unterhaltungswelten, die unser Konsum- und Kommunikationsverhalten prägen. Der Künstler ist an den Strategien interessiert, mittels derer sich Individuen innerhalb der Gesellschaft definieren und profilieren – in einer Zeit, in der das Internet einen maßgeblichen Teil unserer Lebensrealität bestimmt. Die Grenzen der einzelnen Medien überschreitend, arbeitet Fujiwara mit Video und Installation, Performance, Skulptur, Malerei und verschiedensten technischen Medien.
Im Zentrum der Arbeit Empathy I steht ein von Freizeitparks inspiriertes 5-D-Kino. Statt einer fiktionalen Reise durch Fantasiewelten präsentiert der Künstler jedoch gefundene Youtube-Videos, die extrem emotionale oder intensive körperliche Erfahrungen zeigen. Diese Videos anonymer Nutzer, die in massenhafter Zahl im Internet zu finden sind, zeigen private, teils intime Momente. Durch deren Umsetzung in einen Simulator, dessen bewegliche Sitze der Kamerabewegung folgen, steigert Simon Fujiwara die Beobachtung zu einer körperlichen Erfahrung. Die Intensität und Geschwindigkeit der Bilder und die zusätzliche physische Komponente überfordern uns insofern als unser Gehirn eine längere Zeitspanne benötigt, um die Bedeutung einer momentanen Situation zu erfassen und einzuordnen. Ausgelöst wird stattdessen eine Aneinanderreihung übersteigerter, aber simulierter Emotionen wie Erregung, Angst oder Freude. Simon Fujiwara reflektiert hier die beschleunigte Dynamik unseres Konsums von Bildern – was opfern und was wir gewinnen wir durch ein Leben, das zusehends durch eine Kameralinse transzendiert wird?
There is no narrative or dramatic arc leading to an emotional climax
Unsere Welt ist heute weitgehend digitalisiert. Wir kommunizieren über verschiedene digitale Medien, schauen Filme per Streaming, lesen E-Books, spielen Online-Games oder informieren uns in der digitalen Presse und sozialen Medien über die neusten Meldungen. Der technische Fortschritt hat eine Vielzahl neuer Möglichkeiten geschaffen, die das gesellschaftliche Miteinander nachhaltig verändern. Dass sich unsere Medienkultur viel tiefgreifender gewandelt hat, als es sich in einem Wechsel vom Programmfernsehen zum Konsum „on demand“ oder vom gedruckten Buch zum E-Reader zeigt, ist längst Thema der jüngsten Medienkritik. Zu den Kennzeichen dieser Veränderungen gehört nicht nur die erhöhte Geschwindigkeit von Kommunikation und Information oder die Schwierigkeit zwischen Journalismus, Meinungsmache und Werbung zu unterscheiden, sondern auch die Verschiebung des klassischen Sender-Empfänger-Modells. Während sich in den alten Massenmedien (etwa Zeitungen und Fernsehen) ein Sender an eine Vielzahl von Empfängern richtete, verändert sich diese Beziehung durch die sozialen Medien dahingehend, dass jeder zum potenziellen Sender wird.
Beobachtungen wie diese waren Ausgangspunkt für die Arbeit Empathy I. Die beschleunigte Dynamik des Konsums von Bildern sorgt für einen erbitterten Kampf um unsere Aufmerksamkeit. Die sich ständig steigernde Menge der verfügbaren Inhalte und Bilder führt aber auch zu einer qualitativen Veränderung. Das emotionalste Bild bleibt in Erinnerung, sei es bizarr, tragisch, komisch oder aufregend. Diesem Prinzip folgt nicht nur unsere Aufmerksamkeit als Empfänger, sondern auch unser Anspruch an den eigenen Erfolg als Sender, der sich in Likes, Shares, Re-Tweets oder Kommentaren misst. Das Wechselspiel, das sich digitale und analoge Welt in diesem Zusammenhang liefern, besteht aus Erfahrungen und Situationen des eigenen realen Lebens, die medial dokumentiert und inszeniert werden. Die erhoffte digitale Resonanz zielt auf eine Bestätigung ab, die einen nicht unerheblichen Teil zur individuellen Identitätsbildung beiträgt. Gleichzeitig wächst das Verlangen nach dem Konsum immer intensiverer digitaler Bilderfahrungen, die Zerstreuung und Stimulation versprechen. Das Ich geriert sich als Produkt und Konsument gleichermaßen und kann somit sein Geltungsbedürfnis ebenso stillen wie seine Neugier und die Lust am Zuschauen.
Das kurzweilige und intensive Erleben hinterlässt jedoch eine Leere. Keine Erzählung und keine Spannungskurve führen hier zu einem emotionalen Höhepunkt, stattdessen folgt pausenlos eine abgebrochene Klimax auf die nächste. Die begrenzte Fähigkeit der digitalen Technologie, zum befriedigenden Ersatz analoger körperlicher Erfahrung und eigenem emotionalem Empfinden zu werden, wird in Empathy Izum zentralen Thema. Simon Fujiwara stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Stellenwert der körperlichen Erfahrung. Ist es möglich, auch das physische Erleben zu simulieren? Funktionieren unser Körper und Geist tatsächlich so, dass sich echte Emotionen künstlich hervorrufen lassen? Oder wird zwischen physischem und psychischem Erleben im Gegensatz zum medial vermittelten immer eine entscheidende Differenz bleiben, unabhängig vom Fortschritt der Technologie?
Simon Fujiwara reflektiert diese Entwicklungen, indem er uns in einer fein abgestimmten Dramaturgie zu Beobachtern und Teilnehmern verschiedener Situationen macht. Wir begeben uns in einen Wartebereich, wie wir ihn aus dem Alltag kennen: Man zieht eine Nummer, es stehen Sitzmöglichkeiten und ein Wasserspender bereit, freies WLAN wird angeboten, und in der Ablage des Tisches befinden sich mehrere Ausgaben des Romans Fifty Shades of Grey. Die Bücher sind jeweils dort mit einem Lesezeichen markiert, wo sich die beiden Protagonisten der Geschichte freiwillig auf eine sado-masochistische Beziehung einlassen und dies vertraglich festhalten. Fujiwara verweist einerseits darauf, dass wir uns tagtäglich bewusst dem Internet und insbesondere den sozialen Medien ausliefern. Zum anderen unterstreicht er die Widersprüchlichkeit einer Gesellschaft, deren liberale und demokratische Werte konträr zu dem stehen, was der als misogyn und prokapitalistisch kritisierte Roman idealisiert und erotisiert. Vor diesem Hintergrund hat Simon Fujiwara der enorme Erfolg des Romans beschäftigt. Während seiner Recherchen erfuhr er, dass die Wohltätigkeitsorganisation Oxfam so viele Exemplare des Romans als Spenden erhielt, dass sie in einem Aufruf darum bat, von weiteren Schenkungen abzusehen. Diese ließen sich weder verkaufen noch recyceln, da sich der Leim im Einband als giftig erwies. Tausende von Büchern verharrten so in einer Art Schwebezustand ohne Verwendungsmöglichkeit. Der Künstler beschloss, Oxfam den gesamten Vorrat abzukaufen und für seine Arbeit zu verwenden, um für diese Kette von Paradoxien einen Reflexionsrahmen zu schaffen.
Johanna Adam
Simon Fujiwara ist in Japan, Spanien und in Cornwall, Großbritannien aufgewachsen. Architektur an der Universität Cambridge und Kunst an der Städelschule in Frankfurt. Arbeiten des Künstlers befinden sich unter anderem in so renommierten Sammlungen wie dem Museum of Modern Art und dem Guggenheim Museum in New York sowie in der Tate in London. 2010 gewann er sowohl den Baloise Prize der Art Basel und den 2010 Frieze Cartier Award. 2019 gehörte er zu den Nominierten des Preis der Nationalgalerie in Berlin.